
Die Medizin nutzt bereits Wirkstoffe aus dem Meer
Muschelleim kann Wunden schließen
Das Wasser rauscht über sie hinweg, das Graue, Unscheinbare Muschel ist den Gezeiten gnadenlos ausgesetzt und darf vor allem eines nicht verlieren: den Halt. Es haftet mit seinen zähen Byssusfäden an den Steinen. Ihr riesige Bindung machte sie zum Gegenstand der Forschung Prof. Ulrike LindequistPharmakologe an der Universität Greifswald.
Denn eins Natürliche Substanz, die möglicherweise als Sekundenkleber in der Chirurgie verwendet werden kann, würde ein chirurgisches Problem lösen: Große Einschnitte müssen noch geheftet oder genäht werden. Ein stärkerer, natürlicher Klebstoff würde die Wundheilung verbessern. „Ein gutes Beispiel für die Möglichkeiten von Medikamenten aus dem Meer“, sagt Prof. Lindequist. Allerdings muss sich der Kleber erst noch bewähren und ist vermutlich erst in ein paar Jahren einsetzbar.
Auch spannend: Können Sie abgelaufene Medikamente noch einnehmen? >>
Schwämme als Waffe gegen Krebs
Auch der Naturschwamm im Badezimmer war einst ein Lebewesen. Aber hier geht es nicht um ihn. Wissenschaftler kennen ungefähr 9.000 Arten von Schwämmen, und es gibt wahrscheinlich noch 50.000 weitere. Das Besondere an ihnen: Sie leben auf dem Meeresboden und ernähren sich vom Filtern von Plankton. Und sie haben einen Arsenal chemischer Abwehrwaffenweil sie nicht entkommen können.
Das bioaktive Substanzen sind im Kampf gegen verschiedene Krebsarten von großer Bedeutung. Der Team um Prof. Werner Müller von der Universität Mainz fanden im Ircinia-Schwamm den Wirkstoff Sorbicillacton. Im Labor war es möglich, Leukämiezellen abzutöten. Viele Schwämme bieten anderen Organismen darin Schutz. Bakterien und Pilze übernehmen dort die Abwehr. Angepasst an ihre jeweilige Umgebung verfügen sie über ein perfektes Immunsystem und viele mögliche Heilmittel gegen Infektionskrankheiten und Entzündungen.
Zehntausende dieser Substanzen bisher identifiziert wurde – ein riesiger Genpool, der mit unserem erstaunlich identisch ist, ideal als Labor für unser Immunsystem. Dafür kooperiert die TU Darmstadt mit der Urheberrechtsorganisation Biotecmarin und züchtet vor der Küste Kroatiens Schwämme, aus denen Forscher bald neuartige Medikamente herstellen können.
Seeschneckengift gegen Qual
Vielleicht haben Sie Ihren Koffer schon im Urlaub am Strand gefunden oder im Hafenbasar gekauft. Kegelschnecken sind bunt und schön gemustert – zu schön, um unauffällig zu sein. Ein Signal für Forscher, denn auffallend schöne Lebewesen und Meeresorganismen haben das oft besondere Abwehrkräfte – oder um Beute zu fangen.
Kegelschnecken haben in einem Zahn giftige Harpunen, mit denen sie kleine Fische im Handumdrehen töten können. Überraschenderweise sind bereits kleine Mengen des in den mikroskopisch kleinen Harpunen enthaltenen Giftstoffes äußerst wirksam. Die medizinische Wirkung war eine Sensation für US-Wissenschaftler und sogar die US-Zulassungsbehörde FDA. Denn klinische Studien haben es bewiesen Tausendmal stärkere Schmerzlinderung der Wirkstoffe aus dem Gift der Kegelschnecke als mit Morphin – ohne ihr Suchtpotenzial. Seit 2006 wird „Prialt“ auch in Krankenhäusern in Deutschland eingesetzt.
Mikroalgen bekämpfen Keime auf der Haut
Ein Handschlag ist oft genug und gefährlich multiresistentalso gibt es fast nichts zu bekämpfen Bakterien, werden weitergegeben. Gerade in Krankenhäusern herrscht Angst vor diesen Keimen, weil sie für geschwächte Patienten tödlich sein können. Sie verursachen Lungenentzündung, toxischen Schock, Blutvergiftung oder Gangrän.
Professor Lindequist mit ihrem Team eine Salbe entwickelt Wirksame Bestandteiledie sie in der Ostsee fanden. Das Algen-Essenz ist so in seiner Mikrostruktur rutschigdass Bakterien und Viren sich nicht mehr auf der Haut festsetzen, geschweige denn vermehren können. Die Wirkung hält einen ganzen Tag an und die Creme wirkt zudem pflegend. Es wird von Heitland & Petre hergestellt und hat seinen Weg in die Apotheken gefunden. Die Salbe kann auch für Menschen interessant sein, die an Neurodermitis leiden. Aber laut Prof. Lindequist „ist die Zulassung als Medizinprodukt ein langwieriger und teurer Prozess.“
Wirkstoffe aus Algen sind vielversprechend gegen HI-Viren
HI-Viren können beim Menschen schwere Autoimmunerkrankungen auslösen. Wir kennen diese Krankheiten besser unter dem Kürzel AIDS. Wissenschaftler konnten jedoch in Laborstudien feststellen, dass bestimmte aus Algen gewonnene Wirkstoffe die Vermehrung von HI-Viren stoppen können. Meeresmikroorganismen wie Algen könnten in Zukunft für die Behandlung von AIDS wichtig werden.
Erfahren Sie mehr: Im Gespräch mit Tropenarzt Prof. Dr. Herbinger>>
Wirkstoffe werden zu Arzneimitteln
Bevor ein Medikament zugelassen wird, müssen viele Schritte unternommen werden. Es beginnt mit einem sanften Eingriff in die Natur. Sind die Lebewesen und Mikroorganismen potenziell interessante Kandidaten für medizinische Zwecke, Auszüge werden gemacht. Anschließend testen Sie in der Testschale, ob sie Krebszellen oder Krankheitserreger bekämpfen können. Anschließend muss nachgewiesen werden, ob der Wirkstoff multiplizierbar ist.
Es gibt vier Möglichkeiten: durch Aquakultur anbauen, synthetisch replizieren, die genetische Information auf andere Zellen übertragen und diese dann vermehren oder direkt kultivieren, wie dies bei manchen Mikroorganismen möglich ist. Für all diese Methoden gibt es erfolgreiche Beispiele. Aber nach der Entdeckung, Analyse und Verbreitung gibt es noch viele Tests mit menschlichen Anwendungen. In einigen Jahren wird es also wahrscheinlich eine Flut von Medikamenten aus dem Meer geben.