Die Heilkraft der Pflanzen

Die Heilkraft der Pflanzen

Die Heilkraft der Pflanzen

INTERVIEW

„Ganzheitlich und State-of-the-Art“ Dr. Johannes G. Mayer, Experte für Pflanzentherapie und Sprecher der Forschungsgruppe Klostermedizin an der Universität Würzburg

VITAL: Wie aktuell ist die mittelalterliche und damit keltische Medizin heute?

DR. MAYER: Es ist gewissermaßen State of the Art. Präventivmedizin, Prophylaxe und gesunde Lebensweise waren wesentliche Bestandteile dieser traditionellen europäischen Medizin. Sie setzte nicht nur auf Kräutermedizin, sondern auch auf eine Änderung des Lebensstils. Sie bezieht den menschlichen Biorhythmus stärker in die Behandlung mit ein und wusste schon damals um den Wert einer ausgewogenen Ernährung.

VITAL: Werden heute weniger Heilpflanzen verwendet?

DR. MAYER: Ja. Im Mittelalter verwendeten Heiler etwa 600 Pflanzen. Heute verwendet die Phytotherapie nur etwa 150 Pflanzen. Gründe für den Rückgang gibt es viele. Viele Pflanzen unterliegen Modewellen. Einige waren einst „in“, gerieten dann aber in Vergessenheit. In anderen stellten Wissenschaftler später fest, dass sie Giftstoffe enthielten. Sie wollten diese Pflanzen nicht mehr verwenden. Aber Colchicin, zum Beispiel ein Gift der Herbstzeitlose, wird nach sorgfältiger Risikoabwägung immer noch verwendet. Wir können davon ausgehen, dass damals auch eine solche Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde. Andere Pflanzen konnten in ihrer Wirkung einfach nicht überzeugen.

VITAL: Wurden die Pflanzen damals anders genutzt?

DR. MAYER: Ja, viel universeller als heute. So wurde Salbei nicht nur bei Husten und Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt, sondern zum Beispiel auch für das Herz. Die moderne Phytotherapie hat sich stark spezialisiert, weil die gesetzliche Zulassung eines Wirkstoffs für bestimmte Indikationen hierzulande sehr teuer ist. Das ist ein echtes finanzielles Problem, denn im Bereich Heilpflanzen sind vor allem mittelständische Unternehmen tätig, die nicht das Budget haben, alle Indikationen einer Heilpflanze zu erforschen. Mit der Forschungsgruppe Klostermedizin versuchen wir, diese anderen Indikationen lebendig zu halten, indem wir darüber schreiben.

VITAL: Wie viele der „alten“ Heilpflanzen spielen in der modernen Phytotherapie noch eine Rolle?

DR. MAYER: Eine Menge. Der Fingerhut liefert beispielsweise Digitalis-Glykoside, die bei Herzerkrankungen eingesetzt werden. Morphin aus der Mohnblume lindert starke Schmerzen. Der Wirkstoff in „Aspirin“, Acetylsalicylsäure, stammt ursprünglich aus Weidenrinde, Weißdorn kann das Herz-Kreislauf-System stärken. Beinwell wird gerade wiederentdeckt – eine meiner Lieblingspflanzen. Die Wurzeln enthalten Wirkstoffe, die aufgrund ihrer durchblutungsfördernden und zellerneuernden Wirkung zur Gewebeschädigung eingesetzt werden.

VITAL: Erwarten Sie Überraschungen, wenn mittelalterliche Heilkräuter auf moderne Weise untersucht werden?

DR. MAYER: So hoffe ich, dass Weihrauch wieder „modern“ wird. Seit 20 Jahren forscht und diskutiert die Wissenschaft daran. Allerdings ist es in Deutschland nicht erlaubt. Im Osten und Afrika hingegen spielt Weihrauch eine große Rolle, weil er gerade bei chronischen Erkrankungen eine ganz besondere entzündungshemmende Wirkung hat. Ein weiteres Beispiel: Beifuß war für mittelalterliche Heiler als Heilpflanze sehr wichtig. Heute ist es als Küchenkraut kaum noch bekannt. Nun beginnt die Forschung, denn der asiatische Beifuß, der mit unserem sehr eng verwandt ist, scheint gegen Malaria zu helfen. Kann unser Gesundheitssystem von Celtic lernen? Ja, nämlich zurückzubringen, was die Schulmedizin verdrängt hat: Prävention, gesunde Lebensweise und Ernährung.

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